Der Unfall der M61 004 am 04. Juni 1999

Ein Nachruf auf die ehemalige MAV-Museumslokomotive von Klaus Korbacher

Nicht jeder NOHAB-Fan hatte das Glück, bereits vor 1999 die Rundnasen in Ungarn aufsuchen zu können. Aber nur diejenigen, die es geschafft haben, konnten die ehemalige MAV-Museumslokomotive M61 004 noch im Einsatz fotografieren. Sie erhielt als erste M61 erneut das klassische Farbkleid zurück, das diese Loks bei ihrer Ablieferung trugen, allerdings wurde der Sowjet-Stern durch das NOHAB-Signet ersetzt. Dieses Farbkleid stand der Lok außerordentlich gut, so dass sie zur Starlok von Tapolca wurde. Am 04.06.1999 wurde bei einem Unfall auf der Balaton-Nordstrecke dermaßen beschädigt, dass sie zerlegt werden musste. Doch dazu später. Zunächst ein paar Betriebsaufnahmen aus der Zeit vor dem Unfall. Am Balaton erwischte sie Hans-Jürgen Warg bereits im Jahr 1994.

M61 004
M61 004 Hans Jürgen Warg Bei Nemesvita, 22.07.1994
M61 004
M61 004 Hans Jürgen Warg Tapolca, 22.07.1994

Klaus Korbacher war auf der Parade anlässlich "125 Jahre Eisenbahn in Ungarn", die im Juli 1996 in Budapest-Angyalföld stattfand.

M61 004
M61 004 Klaus Korbacher Budapest-Angyalföld, 13.07.1996

Im April 1997 war Klaus in Tapolca, als M61 004 mit einem Personenzug auf die Balaton-Nordstrecke ging.

M61 004
M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, April 1997

Im Jahr 1997 hat eine weitere M61 die Ursprungslackierung zurückerhalten. Es war die M61 010, bei der der Farbton allerdings etwas zu dunkel geraten war. Trotzdem blieb die 004 das Schmuckstück in Tapolca - bis zum Juni 1999! Lassen wir jetzt den NOHAB-Pappi Klaus Korbacher zu Wort kommen, der zum Zeitpunkt des Unfalls der 004 am Balaton Urlaub machte und vom Unfall Fotos machen konnte.

Mittwoch, der 02.06.1999
Anreise am Mittwoch nachmittag nach 5 Stunden Arbeit. An der Grenze in Deutschkreutz hat mich der Zöllner gefragt: Was ist das? Hat er noch nie eine halbe Wohnzimmereinrichtung in einem Auto gesehen? Ach ja, das war das erste Mal, daß ich einen anderen Grenzübergang nehmen mußte. In Klingenbach wurde mehr als eine Stunde Stau und Wartezeit gemeldet. So habe ich einen anderen Weg genommen. In Sopron haben wir das große Sofa und einen Sessel und viele andere Dinge aus dem Espace ausgeladen. Dann habe ich wieder andere Sachen für meine Eisenbahnfreunde eingepackt. Danach fuhr ich weiter nach Tapolca, wo ich schon herzlich erwartet wurde. In der Küche gab es wieder etwas leckeres zum Essen. Nach einigen oder auch mehreren "Begrüßungsgläschen" und den vielen Neuigkeiten gingen wir um Mitternacht schlafen.

Donnerstag, der 03.06.1999
Am frühen Morgen haben wir uns dann mit Wolfgang und Michael am Bahnhof getroffen. Die zwei machen zusammen mit ihren Frauen Urlaub in Badacsony. Schon am frühen Morgen war sehr schönes heißes Wetter, aber von Westen zogen kräftige, große weise Wolken auf. Den ganzen Vormittag haben wir am Bahnhof zusammen verbracht. Dabei habe ich viele Fotos und Videos gemacht. Zusammen haben wir gemütlich unter den 2 Kastanienbäumen im Schatten gesessen und gequatscht. Ein Bier half uns die trockene Luft etwas anzufeuchten. Um 10:30 Uhr brachte M61 004 einen Zug, kuppelte ab und fuhr zur Tankstelle. Kurz darauf kam auch M61 010 und mußte nach Dienstschluß auch die Vorräte ergänzen. Die zwei gestreiften Schwestern standen wunderschön fotomäßig hintereinander an der Tankstelle.

M61 004
M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, 03.06.1999

Als M61 004 mit dem Tanken fertig war, zog die Maschine in Richtung Schuppen vor. M61 010 fuhr nach dem Tanken ins Bahnhofsvorfeld zurück um sich dann wieder in Richtung Schuppen auf dem Nachbargleis neben die hellere und berühmtere der beiden gestreiften Schwestern zu stellen (weder ich noch andere Freunde haben daran etwas gedreht.......gaaanz eehhhrlich!!!!). Es sollte das letzte Foto der betriebfähigen M61 004 werden!

Klaus Korbacher Tapolca, 03.06.1999‎
Klaus Korbacher Tapolca, 03.06.1999‎

Zum Mittagessen haben wir dann bei Janós einen Teller mit Halázslé (Fischsuppe) gegessen. Am späten Nachmittag um 16:52 Uhr hat uns dann Michael mit M61 010 nach Badacsony gefahren. Zuerst haben wir die beiden anderen Frauen im Ferienhaus gesucht und nicht angetroffen. Danach haben wir es uns wieder in unserer Stammkocsma (Kneipe) gemütlich gemacht. Der erste Liter Riesling ist immer noch nicht der Beste. Erst nach und nach und nach und nach und ..... gewöhnt man sich wieder an den kühlen Traubensaft. Dann mussten wir wieder um 4 tote Fogas (Zander) trauern. Aber es hat uns köstlich geschmeckt. Um 20:17 Uhr mussten wir dann leider wieder an Bord von M61 006 nach Hause fahren. An diesem Abend waren wir so gesittet und so brave Jungs, dass es am nächsten Morgen gar kein böses Erwachen geben konnte.

Freitag, der 04.06.1999
Am frühen Morgen konnte noch keiner vorhersehen, daß dieser Tag so schrecklich enden wird. Heute war nicht viel vom NOHAB-Ballett zu sehen. Nur der Zug, der von Szombathely nach Kaposvár fährt, war mit M61 006 bespannt. Eine M41 mußte sich mit dem schweren Zug von Tapocla auf die Reise nach Székesfehérvár machen. Die weniger werdenden NOHAB’s machen es schon sehr schwer, sich darauf verlassen zu können, dass die Züge am Nordufer gewohnheitsmäßig mit meinen Lieblingen bespannt sind. Die Elektrifizierung auf anderen Strecken setzt jetzt eine große Menge M62 frei. Es gibt Gerüchte, daß ca. 60 Sergej neu motorisiert werden sollen. Ob sich das lohnt? Die Vielzahl dieser Loks sieht nicht sehr gepflegt aus. Der Rost nagt doch sehr stark am alten Eisen. Und über viele Jahre wurde nicht sehr viel an den nicht sehr geliebten Russen getan. Viele M41 haben immer mehr technische Probleme und sind wegen der ständigen Überforderung immer störanfälliger.
Um 9.26 Uhr kam Pista aus Székesfehérvár mit einem Sack voll vieler schöner Sachen. Für János war aus einer alten Piko HO-NOHAB ein Supermodell der M61 004 entstanden. Für mich brachte der "Weihnachtsmann" fünf Piko N-NOHABs in belgischen Farben und mit veränderten Stirnlampen mit. So war es für die "Kleinen" ein Feiertag. Nach dem Mittagessen brachten wir Pista zum Bahnhof. Danach waren wir in der Stadt um einzukaufen.
Der ganze Tag war sehr stürmisch und am Nachmittag zogen viele große schwarze Wolken auf. Mit meinem Laptop begann ich, meine Reiseberichte (seit langem hatte ich nur Stichpunkte aufgeschrieben) zu schreiben. Mir war sehr warm. So setzte ich mich auf die Terrasse und tippte, was die Finger hergaben. Die Wolken wurden immer schwerer und der Wind immer heftiger. Es war so ungemütlich, daß ich in die Küche ging. Dort gab es dann auch bald das Abendessen, denn János mußte zum Dienst. Nachdem er weggefahren war, dauerte es ca. 10 Minuten bis das Telefon klingelte.

"M61 004 liegt zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony quer auf den Gleisen!"

Also Computer heruntergefahren, alle Kameras gegriffen und nichts wie weg zum Unglücksort. Die Straße war gesperrt, und so stellte ich mein Auto in weiterer Entfernung ab und ging zu Fuß. Es bot sich ein Bild des Schreckens.

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 04.06.1999 Zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony,

Im Straßengraben lag ein großer zertrümmerter Baum. Auf den Gleisen befanden sich 8 Personenwagen, davor lagen 2 Personenwagen quer zur Fahrtrichtung und davor M61 004 mit gebrochenem Rahmen und abgerissenen Drehgestellen.

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 04.06.1999 Zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony,

Ein Führerstand hatte sich in den Straßengraben eingegraben, die andere Seite zeigte zum Himmel. Mir und vielen anderen Lokführern und Freunden standen die Tränen in den Augen. Immer wieder die Frage: Warum die 004 und nicht ..?.?.?

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 04.06.1999 Zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony,

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 04.06.1999 Zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony,

Von Lokführern und anderen Freunden erfuhr ich die schreckliche Geschichte. Zum Glück gab es nur 6 (Gott sei Dank nicht sehr schwer) Verletzte. Im letzten Wagen waren ca. 90 Kinder. Was für ein Glück, daß diese Gruppe nicht in den ersten Wagen eingestiegen ist! Dann fuhr der Zug in voller Fahrt gegen einen Baum, der wegen des Sturm auf die Gleise gefallen war. Nicht nur, dass ein Baum direkt auf das Gleis fallen musste, der erste Zug, der vorbeikam, musste ausgerechnet von M61 004 bespannt sein...

Der Unfallbaum

Lokführer der 004 war Tamás. Er und Csabi hatten erst am 4. Januar die Lok vom bisherigen Stammlokführer "004-Ferry" übernommen, an einem wunderschöner Tag. Viele Gedanken gingen durch meinen Kopf. Jetzt, exakt 6 Monate später, bin ich auch wieder hier und muss das alles dokumentieren. Ein "Rendör" (Polizist) wollte mich zurückschicken, aber meine Postkarte (M61 004 am 01.01.1999 in Eger bei schönstem Sonnenschein) und meine Freunde halfen mir, diese Katastrophe auf Foto, Video und Digitalkamera dokumentieren zu dürfen.

Klaus Korbacher 01.01.1999 in Eger

Mein Vater hätte zu mir gesagt: "Schöne Tage, nicht weinen, dass sie vergangen, sondern lächeln, dass sie gewesen."
Einen Tag zuvor hatte ich noch die Möglichkeit, M61 004 mit M61 010 fotogerecht nebeneinander im schönsten Sonnenschein vor dem Heizhaus in Tapolca aufzunehmen. Nie hätte ich daran gedacht, dass es meine letzten schönen Fotos von der "Tapolca und dem ungarischen Nationaldenkmal" gewesen sind. In den Abendnachrichten im ungarischen Fernsehen sah ich auch einen Bericht über das Unglück.

Samstag, der 05.06.1999
Um 5:30 Uhr war eine unruhige Nacht zu Ende. Als ich wieder an der Unfallstelle ankam, waren schon viele NOHAB–Fans da. M61 004 lag parallel zum Gleis im Straßengraben. Seitlich darüber und links daneben lag ein Personenwagen. Niemand konnte es verstehen, warum ausgerechnet unsere und die bestgepflegteste Lok hier liegen musste. Warum nicht eine ...?????... oder ...?????..., warum ausgerechnet "unsere 004"?

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 05.06.1999 Zwischen Balatonlábdihegy und Badacsony,

Traurige Gesichter wohin man schaut. Unsere Erszébet wusste nicht mehr wo oben oder unten, rechts oder links ist. Aber die gemeinsame Trauer kann uns helfen, die Probleme langsam zu verstehen.

Verunfallte M61 004

Klaus Korbacher 05.06.1999 Die ersten Blumen schmückten die

Immer wieder die Frage: "Was kann nun geschehen? Kann die Lok noch einmal aufgearbeitet werden? Welche Teile können vielleicht zur Rettung von M61 002 noch verwendet werden? Soll die Lok, so wie sie ist, als Denkmal aufgestellt werden? ... Viele, viele Fragen ohne Antworten.

Noch bevor mehrere "Katastrophentouristen" kamen, bin ich wieder nach Tapolca gefahren. In Badacsonytördemic – Szigliget traf ich Janos. Er war am Abend vorher nicht wie geplant nach Celldömölk gefahren, sondern hat mit einer M41 die auf den Schienen verbliebenen Personenwagen nach Badacsonytördemic zurückgezogen und viel später den 60 Tonnen–Kran zur Unfallstelle gefahren. Inzwischen war Schienenersatzverkehr mit Autobus aufgenommen worden. Gegen 8 Uhr kam er mit dieser Lok und 7 Personenwagen in Tapolca an. Dort gab es natürlich nur ein Thema am Bahnhof. In der Zeitung war ein großer Bericht mit 3 Farbfotos. Dann kam "004 Ferry". Er kam auf mich zu, wir umarmten uns und die Tränen flossen aus unseren Augen. Auch ohne Worte haben wir uns in diesem Moment sehr viel gesagt. Er ging zur Lokleitung. Ein gebrochener Mann, der um "seine Lok" weinte. So hart kann das Schicksal sein. Jetzt war das Dienstende von Janos. Mit meinen 004-Postkarten schmückten wir die anderen Schwesterlokomotiven.

Klaus Korbacher 05.06.1999 Tapolca‎

Nachdem wir im Heizhaus unseren üblichen Espresso getrunken hatten, sind wir wieder zur Unfallstelle gefahren. Dort waren jetzt sehr viel mehr Menschen. Sensationstouristen standen und saßen vor und auf der Lok, eine ganz schlimme unvergessliche Sache.

Am Nachmittag bin ich mit Béla zum Weinberg gefahren. Zurück in Tapolca kam ein Anruf. Bücki Csapi, einer der Lokführer, dem die 004 übergeben wurde, lud mich zu sich nach Hause ein. Der Abend wurde sehr lang. Er sagte mir, dass es nun ganz egal wäre, was er in Zukunft machen werde. In ganz kurzer Zeit, hat er sich für "seine 004" voll eingesetzt. Weit nach Mitternacht ging ich nach Hause.

Sonntag, der 06.06.1999
Erneut ein Besuch an der Unfallstelle. Nun lag die M61 004 alleine im Graben. Den Personenwagen darüber hatte man in der Nacht abtransportiert. Jetzt war der Blick frei auf die Unterseite der Lok und die Schäden.

Bald musste ich Abschied nehmen, denn ich musste in Sopron meine Familie abholen und nach Nürnberg zurückfahren.
Ein schönes und trauriges Wochenende ging zu Ende.

Soweit der Bericht von Klaus Korbacher! Im August 1999 war Hans-Jürgen Warg wieder in Ungarn und erlebte die erste Fahrt der neulackierten M61 020, die als Ersatz für die 004 nun ebenfalls die historischen Farben erhalten hat.
M61 020
M61 020 Hans-Jürgen Warg Bei Nemesvita, 09.08.1999
Klaus Korbacher war im November 1999 wieder in Ungarn und hat in Tapolca die Überreste der M61 004 fotografiert. Das Lokgehäuse besaß noch beide Nasen und lag ohne Drehgestelle und Motor auf einem Flachwagen.
Verunfallte M61 004
Verunfallte M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, November 1999
Der Motor der 004 war ausgebaut und auf einen Waggon verladen worden.
Motor der M61 004
Motor der  M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, November 1999
Im Dezember 1999 war eine Nase der 004 bereits abgeschnitten.
Verunfallte M61 004
Verunfallte M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Dezember 1999
Der Torso war innen komplett ausgeräumt worden.
Verunfallte M61 004
Verunfallte M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Dezember 1999
Als an einem anderen Tag die Wintersonne rauskam, war Klaus ebenfalls vor Ort.
Verunfallte M61 004
Verunfallte M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Dezember 1999
Die abgeschnittene Nase stand neben der noch orangenen M61 001 ebenfalls auf einem Flachwagen.
Nase der M61 004
Nase der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Dezember 1999
Nase der M61 004
Nase der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Dezember 1999
Im Mai 2000 wurde der Torso zerschnitten, die Fenster fehlten schon.
Reste der M61 004
Reste der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Mai 2000
Was für ein grausiges Bild, wenn sich die Flammen durch die 004 fressen!
Reste der M61 004
Reste der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Mai 2000
Wer macht eigentlich eine solche Lok für Geld kaputt?
Reste der M61 004
Reste der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Mai 2000
Reste der M61 004
Reste der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, Mai 2000
Im November 2000 war nur noch ein kleiner Rest von der 004 übrig.
Reste der M61 004
Reste der M61 004 Klaus Korbacher Tapolca, November 2000
Zum Schluss stellt sich die Frage, was blieb übrig von der schönen M61 004? Bei allen, die sie erlebt haben, vor allem Erinnerungen. Manchmal sogar verewigt als Relief an der Wand.
Relief der M61 004
Relief der M61 004 Klaus Korbacher Büfe-Restaurant in Tapolca, November 2000
Für alle anderen blieb die abgeschnittene Nase als Pilgerstätte am Technikmuseum in Budapest erhalten. Mustergültig aufgearbeitet erinnert sie an das ehemalige ungarische Nationaldemkmal M61 004.
Nase der M61 004
Nase der M61 004 Frank-Marc Siebert Technikmuseum in Budapest, 09.05.2005